inter:ference: lost yesterdays
Wie verändert sich der Blick auf die Welt, den Alltag, die Personen und Situationen, die uns begegnen, wenn Zusammenhänge verloren gehen? In einem Wohnzimmer, das wie ein Diorama in einem naturkundlichen Museum anmutet, begegnen wir Frau Hartnagel. Alles ist vorhanden, was einmal ihr Zuhause hätte sein können: eine Schrankwand mit Nippes, eine Sitzgarnitur, Landschaftsbilder an den Wänden. Doch für sie bleibt der Raum eine Behauptung, eine perfekte Kulisse. Was fehlt, ist die Erinnerung, die dem Raum Leben gibt – Frau Hartnagel leidet an Demenz.
Außerhalb des Bildes befindet sich ein junger Mann – Pfleger, Regisseur und Voyeur in einer Person. Mit Fragen möchte er die innere Welt der Erkrankten verstehen lernen, stößt dabei aber schnell an seine (und unsere) Grenzen. Plötzlich bricht das Realitätsgefüge auf und es erscheinen tanzende Gestalten auf der Bühne, die mal Bedrohung, mal gelebte Erinnerung für Frau Hartnagel sind. Es entfaltet sich ein Dialog zwischen Körpern und Stimmen, zwischen Tanz, Musik und gesprochenem Wort: berührend und verstörend zugleich.
Mit lost yesterdays gelingt der jungen deutsch-polnischen Gruppe inter:ference eine sensible Annäherung an eine Krankheit, die dem gesellschaftlich anerkannten Bild vom autonomen und selbstreflektierten Menschen radikal widerspricht. Wie schon in den vergangenen Produktionen „Jetzt/Teraz“, „Operculum“ und „Heimsuchung/Nawiedzenie“ (ausgezeichnet mit dem schlesischen Theaterpreis „Goldene Maske“) entwickeln sie eine ganz eigene Theatersprache zwischen Choreographie und Installation. Erstmalig kooperieren sie dabei mit der bekannten Münchner Performerin Ruth Geiersberger, dem Schauspieler Andreas Mayer und dem Komponisten Jacopo Salvatori.
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Clara Hinterberger: Audiogramm. Eine Stadtteilkomposition
Bei der ersten Begehung des HochX fanden wir ihn, versteckt unter der Podesterie im Zuschauerraum: einen vergessenen Orchestergraben. Diese Entdeckung war Inspiration für das Musiktheater-Projekt Audiogramm. Eine Stadtteilkomposition. Welche Menschen drängten sich hier, auf engstem Raum? Welche Klänge und Geräusche haben sie hinterlassen? Die junge Regisseurin Clara Hinterberger und ihr Team begeben sich auf die (Klang-)Spuren dieses Ortes und seiner Bewohner. Sie tauchen ein in Geschichte und Alltagskultur der Au und fragen nach dem Eigenen und dem Fremden, nach den Vielen und den Einzelnen. Aus dem gesammelten Recherchematerial entsteht eine szenisch-musikalische Installation für Chor, Solist und ein Dutzend Lautsprecher – so bunt und vielstimmig wie die Au selbst.
Clara Hinterberger schloss 2013 ihr Regiestudium mit der Musiktheater-Collage Händel.Kafka.Kleeab, ihre Inszenierung von Elfriede Jelineks Kein Licht war beim Körber-Studio Junge Regie und dem 100°-Festival in Berlin zu sehen. Nach Stationen in Graz, Berlin und Stuttgart entwickelte sie im Sommer 2016 eine Live-Klanginstallation für die Opernbude der Münchner Kammerspiele. Als Grenzgängerin zwischen Performance und Musiktheater beschäftigt sie sich mit den gesellschaftlichen und (wahrnehmungs-)politischen Dimensionen von Musik. Darin trifft sie sich mit den drei jungen Komponisten Samuel Penderbayne, Tom Smith und Jacopo Salvatori vom „Breakout Ensemble“, mit denen sie bei Audiogramm erstmalig zusammenarbeitet. Auf der Bühne zu sehen sind „der Chor“ aus Haidhausen und die Sängerin und Schauspielerin Ines Hollinger.